„e n d – l i c h l e b e n“
„Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben“, so hat es Cicely Saunders, die Begründerin der modernen Hospizbewegung formuliert, und wir haben zusammen mit unserem Motto „Leben begleiten bis zuletzt“ damit den Informationsflyer unseres Vereins überschrieben.
Ähnliche Gedanken finden sich bei Alwine Paessens-Dege* in ihrem Buch End – lich leben :
„End – lich leben heißt, zu leben mit dem Wissen um die Endlichkeit des Lebens, um endlich zu leben, um freudiger, intensiver, bewusster und angstfreier dem Leben zu begegnen.“
In meinem Beitrag für die Homepage vom März d.J. habe ich mich gefragt, ob ich in meiner Hospizarbeit zukünftig nicht nur „Leben bis zuletzt“ begleiten will, sondern ich mich fragen sollte, ob es nicht auch notwendig wäre, „wenn die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit als selbstverständliches und gut eingeübtes Element von Lebenskunst verstanden würde“ (Jürgen Wiebicke)
Wie solche Lebenskunst vor fast 200 Jahren konkret aussehen und das Leben gestalten konnte, habe ich
in einem Gedicht von Adelbert von Chamisso aus dem Jahr 1833 gefunden.
Ich zitiere es in dankbarer Erinnerung an meine 2016 verstorbene Frau, zu deren Lieblingstexten es gehörte:
Die Waschfrau
Du siehst geschäftig bei dem Linnen die Alte dort in weißem Haar,
die rüstigste der Wäscherinnen im sechsundsiebenzigsten Jahr.
So hat sie stets mit saurem Schweiß ihr Brot in Ehr und Zucht gegessen
und ausgefüllt mit treuem Fleiß den Kreis, den Gott ihr zugemessen.
Sie hat in ihren jungen Tagen geliebt, gehofft und sich vermählt;
sie hat des Weibes Los getragen, die Sorgen haben nicht gefehlt;
sie hat den kranken Mann gepflegt, sie hat drei Kinder ihm geboren;
sie hat ihn in das Grab gelegt und Glaub’ und Hoffnung nichtverloren.
Da galt’s, die Kinder zu ernähren; sie griff es an mit heiterm Mut,
sie zog sie auf in Zucht und Ehren, der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut.
Zu suchen ihren Unterhalt entließ sie segnend ihre Lieben,
so stand sie nun allein und alt, ihr war ihr heitrer Mut geblieben.
Sie hat gespart und hat gesonnen und Flachs gekauft und nachts gewacht,
den Flachs zu feinem Garn gesponnen, das Garn dem Weber hingebracht;
der hat’s gewebt zu Leinewand. Die Schere brauchte sie, die Nadel,
und nähte sich mit eigner Hand ihr Sterbehemde sonder Tadel.
Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sie schätzt es, verwahrt’s im Schrein am Ehrenplatz;
es ist ihr Erstes und ihr Letztes, ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.
Sie legt es an, des Herren Wort am Sonntag früh sich einzuprägen;
dann legt sie’s wohlgefällig fort, bis sie darin zur Ruh sie legen.
Und ich, an meinem Abend, wollte, ich hätte, diesem Weibe gleich,
erfüllt, was ich erfüllen sollte in meinen Grenzen und Bereich;
ich wollt’, ich hätte so gewußt am Kelch des Lebens mich zu laben,
und könnt’ am Ende gleiche Lust an meinem Sterbehemde haben.
Martin Radtke
* „Lasst uns end – lich leben“ (Gedichte, Lieder, Geschichten und Texte, die an die Endlichkeit des Lebens erinnern) Santiago Verlag / 2004