Mein erster Tag

Ein Beitrag von Martin R.

Vor zwei Jahren stand ich zum ersten Male vor der Aufgabe, als Hospizler einem sterbenden Menschen beizustehen und meine Angst, das Richtige zu tun, war groß. Meine Tochter sah meine Not und schenkte mir einen Text aus ihrem Adventskalender „Andere Zeiten“. Darin erzählt RACHEL NAOMI REMEN von einem Gespräch mit einem Krankenhausgeistlichen:

„Noch sehr jung und voller Eifer zu dienen, war er an das Krankenlager einer Frau gegangen, die am nächsten Tag einer schweren Operation unterzogen werden sollte. Sie hatte steif vor Angst in ihrem Bett gelegen. Kaum hatte er einen Stuhl herangezogen .und sich zu ihr gesetzt, da sagte sie auch schon: »Pater, ich habe das sichere Gefühl, dass ich morgen sterben werde.«
Während seiner Ausbildung war er auf eine solche Situation nicht vorbereitet worden, und nun saß er da und hatte absolut keine Ahnung, wie er darauf reagieren sollte. Um seine Verwirrung zu überspielen, ergriff er erst einmal ihre Hand und hielt sie fest. Da begann sie zu erzählen. Er hörte ihr kaum zu; immer noch ihre Hand haltend, suchte er in seinem Gedächtnis krampfhaft nach irgendwelchen Worten des Trostes.
Als er den Raum betreten hatte, waren sie ihm noch alle präsent, aber nun waren sie wie weggewischt.
Die Frau sprach immer weiter und weinte auch ein wenig und sein Herz öffnete sich für sie in ihrer Todesfurcht. Schließlich schloss sie die Augen und er benutzte diese Gelegenheit, um Gott um Hilfe zu bitten, um die Worte, die ihm fehlten. Doch ihm fiel nicht das Geringste ein. Endlich schlief sie einfach ein und er ging, besiegt und überzeugt, nicht das Zeug zum Priester zu haben. Den Rest des Tages und die ganze Nacht hatte er damit verbracht, sich schmerzliche Gedanken über seine Unzulänglichkeit und über seine Berufung zu machen. Er hatte sich zu sehr geschämt, um die Frau noch einmal aufzusuchen.

Doch einige Wochen später hatte er einen Brief von ihr erhalten, in dem sie sich für all die wundervollen Dinge bedankte, die er während seines Besuches für sie getan hatte, und ganz besonders für die wunderbaren Dinge, die er zu ihr gesagt hatte, die Worte des Trostes und der Weisheit. Sie würde sie niemals vergessen. Und dann zitierte sie ausführlich, was sie ihn hatte sagen hören.
Der junge Pater begann zu lachen, und ich musste ebenfalls lachen. »Das ist schon so lange her«, sagte er immer noch lachend. »Wissen Sie, Rachel«, sagte er dann, »im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass Gott, wenn ich darum bete, jemandem helfen zu können, manchmal Ja sagt und manchmal Nein – und sehr oft auch: Geh mal zur Seite, Patrick. Ich mache das selber«“.

Trotz Corona gehe ich mit dieser Gewissheit ins neue Jahr: Niemand ist wirklich allein, im Leben nicht und auch nicht im Sterben!

Martin R.

Danke Martin für diese offenen und bewegenden Worte. Dein Beitrag bleibt auch auf der Seite “Blog” – Unterseite “von unseren Mitgliedern” veröffentlicht.

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Patrick L.